Sportwissenschaft und Leistungssportforschung in der DDR
Die über mehrere Jahrzehnte erfolgreiche Entwicklung des DDR-Sports in Breite und Spitze war ohne den Beitrag der Sportwissenschaft nicht denkbar.
Bereits seit der Konstituierung der DDR als Staat im Jahr 1949 - zu einer Zeit als noch viele materielle Mängel das tagtägliche Leben und den Aufbau einer neuen, demokratischen Sportbewegung behinderten - wurde dieser Zusammenhang gesehen und bewusst gefördert.
Es waren vor allem drei Faktoren, die meines Erachtens diese frühzeitige Verflechtung wesentlich begünstigten und prägten:
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Der durch das Jugendgesetz vom Februar 1950 beschlossene Aufbau der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), die noch im gleichen Jahr als zentrale Ausbildungs- und Wissenschaftseinrichtung in Leipzig ihre Tätigkeit aufnahm. Bereits im Oktober wurden die ersten 96 Studenten für das Diplomsportlehrerstudium immatrikuliert.
Neben einigen erfahrenen Lehrern mussten vor allem junge Kräfte gewonnen, Vorlesungen und Seminare erarbeitet und erste Studienpläne vorbereitet werden.
Im September 1951 wurde an der DHfK eine Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) eingerichtet und 1952 verließen die ersten Absolventen die neue Hochschule.
Eine Reihe von ihnen verstärkte den rasch anwachsenden Lehrkörper.
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Abb. 2: Rektor Dr. Lohmann mit wissen-
schaftlichen Aspiranten zur Vorbereitung
der 1. Wissenschaftichen Konferenz
"Probleme der Körperkultur und
des Sports" 1951 in Leipzig
Der erfolgreiche sowjetische Sport und die Sportwissenschaft der UdSSR bildete für die junge Sportwissenschaft der DDR eine solide Grundlage, auf der sie unmittelbar aufzubauen vermochte.
Bereits in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hatten sich in der UdSSR wesentliche Strukturen und Elemente einer Wissenschaft von Körperkultur, Körpererziehung und Sport herausgebildet.
Es bestanden Sportinstitute mit einheitlichen Lehrprogrammen und Lehrbüchern für die Hochschulausbildung von Sportkadern.
Nach dem Ende des II. Weltkrieges wurde in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1952 die wissenschaftliche Arbeit zur Theorie und Methodik des Trainings und Wettkampfes sowie zur Entwicklung der Sportarten verstärkt.
Der Sport in der DDR konnte sich also auf einen großen Fundus von Publikationen stützen, die relativ schnell übersetzt für die Ausbildung von Sportstudenten und für den Erfahrungsaustausch unter den Trainer genutzt wurden.
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Abb. 3: Avery Brundage, Präsident des IOC,
besucht anlässlich des V. Deutschen
Turn- und Sportfestes 1969
in Leipzig die Deutsche Hochschule
für Körperkultur (DHfK)
Es gehörte zu einer grundsätzlichen Erkenntnis des historischen Materialismus, dass die Entwicklung einer neuen, sozialistischen Gesellschaft nur über die breite Entfaltung von Wissenschaft und Technik und deren enge Bindung an die Produktion und an die Gesellschaft möglich ist.
Schon zu Beginn der fünfziger Jahre setzte sich zunehmend die Einsicht durch, dass der weitere Aufbau von Körperkultur und Sport in der DDR eine entsprechende Theorie erforderlich mache.
Die 1952 erfolgte Einrichtung eines Wissenschaftlichen Rates mit mehreren Fachkommissionen beim Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport sowie eines Wissenschaftlichen Rates an der DHfK, das Erscheinen der Fachzeitschriften "Theorie und Praxis der Körperkultur", "Körpererziehung" und "Sportorganisator" und der damit verbundene Informations- und Meinungsaustausch von Wissenschaftlern und Praktikern beförderten diesen Prozess wesentlich.
Vor allem Beiträge zur Geschichte und zu den Traditionen des Sports und des Arbeitersports in Deutschland, zur Bewegungslehre, zur Lehre des russischen Physiologen Pawlow sowie zum Gegenstand einer Theorie der Körperkultur bzw. der Körpererziehung lösten in den Folgejahren lebhafte Debatten aus.
Namhafte Sportwissenschaftler aus dem Ausland, wie Samoukow, Krestownikow, Osolin (Sowjetunion), Wohl (Polen), Altrock, Körbs (BRD), Rekla (Österreich) bereicherten die oft streitbaren Debatten.
In diesem Prozess wuchs und festigte sich in den fünfziger Jahren die Auffassung, dass sich die junge, in Lehre und Forschung herausbildende Sportwissenschaft auf eine in sich geschlossene progressive theoretische Basis stützen müsse.
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Ein Bündnis von maximaler individueller Leistungsfähigkeit und wissenschaftlicher Spitzentechnik: Mit dem von der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES) entwickelten Zweierkanadier-Boot erkämpften sich Olav Heukrodt und Ingo Spelly über 1000 m die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 1988.